Matterverse

Digitalisierung im allgemeinen und das sogenannte “Metaverse” im besonderen wird, in den liberalistischen, entgrenzenden Gesellschaftsordnungen, die derzeit vorherrschend sind, nicht im öffentlichen Interesse genutzt, sondern als Objekt der Spekulation in den Händen der Finanzmärkte und anderer privater Wirtschaftsunternehmen, welche die sogenannte “Globalisierung” damit wiederum weiter vorantreiben.

Die VR China stellt hier einen Sonderfall dar, da es, neben ihren Kapitalisten, noch eine politische Führung besitzt, die nach eigenem Ermessen Gelder für Strukturmaßnahmen verteilt. So hatten hochrangige Repräsentanten der VR schon bei Beginn der Bankenkrise im Jahr 2008 die Strategie einer unbegrenzten Ausweitung des Weltmärkte, die von der neoliberalen ökonomischen Theorie propagiert wird, für gescheitert erklärt. Insbesondere die Liberalisierung der Finanzmärkte und das damit verbundene exponentielle Anwachsen von immer fragwürdigeren Anlageformen hatten zu gefährlichen sozioökonomischen Verwerfungen geführt. Die damals angekündigten Kurskorrekturen sollten die Divergenzen zwischen Geldwerten und Sachwerten zurückführen. Es wurde zu weitreichenden staatlichen Maßnahmen im Sinne einer Stärkung von Binnenwirtschaften, z.B. durch Investitionen in Infrastrukturen wie Eisenbahnstrecken und Häfen, aufgerufen.

In den vergangenen fünfzehn Jahren, während es in den meisten westlichen Staaten dafür an politischer Macht bzw. staatlichen Ressourcen mangelte und weiter nur liberalistische und rassistische Thesen verbreitet wurden, haben die Kapitalisten in der politisch gelenkten chinesischen Marktwirtschaft ihre Produktion verdoppelt. Gleichzeitig konnten weltweit, auch in liberalen Ordnungen, die elektronischen Netze, die Überwachung und die hybride Kriegsführung profitabel ausgebaut und, auch mittels KI-gesteuerter „Fake News“, die Meinungsfreiheit weiter eingeschränkt werden.

Hierzu gehören auch die, viral gehenden, dümmlichen Erzählungen von Politiker-Darstellern, die staatliches Handeln, Handeln im Sinne der Allgemeinheit per se als Kommunismus verunglimpfen und mittels dumpfer Stimmungsmache die Bedingungen der Verantwortung des Einzelnen für Gemeinschaften unter den Tisch kehren wollen. Endet diese Verantwortung schon mit der Sicherung des nackten Überlebens oder wären nicht vielmehr Rechte für alle auf Teilhabe und Aufstiegschancen einzufordern?

Es scheint, dass die sogenannte “freie Welt”, will sie langfristig nicht weiter zurückfallen, entweder einen neuen Weltkrieg anzetteln oder in zentralen Wirtschaftsbereichen staatliche Eingriffe wie in den Jahren zwischen 1945 und 1975 anbieten muss, diesmal aber im globalen Maßstab, d.h. ohne verlängerte Werkbänke in sogenannten „Entwicklungsländern“.

Auch Umverteilungen zu Lasten der Mehrheit in einer „Zweiten (sozialistischen) Welt“ durch staatlich gelenkte bzw. erzwungene Arbeit zur Devisenbeschaffung oder, nach dem Mauerfall, durch Zerschlagungen und Privatisierungen öffentlichen Eigentums, wie sie von Margaret Thatcher und Konsorten erdacht und mit der Übernahme sozialistischer Staaten noch vorgenommen werden konnten, stehen heute mangels realer Systemalternativen nicht mehr zur Verfügung.

Es gilt für das marktradikale System, beständig Nutzen für Einzelne zu mehren und Kosten der Allgemeinheit aufzubürden. Zu diesem Zweck soll überall das Prinzip des Besitzindividualismus durchgesetzt und die Bourgeoisie zu immer größeren Anstrengungen veranlasst werden durch Aussicht auf immer höhere Profite und Mehrung des Privateigentums. Dieses Ziel ist umso eher zu erreichen, je mehr Vermögenswerte, wie z.B. Devisen oder Unternehmensanteile, nur innerhalb globaler Netzwerke und damit jenseits (nationaler) öffentlicher Kontrolle und Intervention gehandelt werden.

Dass Milliarden Menschen aus diesem, von ihnen selbst in Gang gehaltenen, Hamsterrad der permanenten Unzufriedenheit nicht einfach so willkürlich und unmittelbar wieder aussteigen können, dass konkrete Sperren benötigt werden, um den Stein des Sisyphos gegen die Schwerkraft zu sichern, dass wiederum ist nicht die Sache der verantwortlichen, aber oftmals nicht zur Verantwortung zu ziehenden Marktakteure.

Der Tänzer Yoann Bourgeois zeigt in seiner Arbeit, wie die Schwerkraft, die Materie auf uns wirkt und welch großer Kunst es für die Menschen bedarf, aufrecht im Hier und Jetzt, in der Wirklichkeit zu sein. Solche existenzialistischen Äußerungen sind Gegenentwürfe zu ideologiegetriebenen, sich beständig selbst verstärkenden Zirkeln wie dem der kapitalistischen Entgrenzungen. An dieser Stelle sei nur kurz erwähnt, dass in vielen Bereichen, unter anderen, nicht kapitalistischen Prämissen, gemeinnütziges Handeln auch wirtschaftlich sinnvoller sein kann.

Märkte bestanden und bestehen in den unterschiedlichsten realen Ordnungen wie der griechischen polis oder den mittelalterlichen Feudalregimen, eingebettet als wirtschaftliches Handeln sowohl in traditionellen als auch in modernen Gesellschaften. Seit dem Beginn des bürgerlichen Zeitalters wird demgegenüber, aus der Luft gegriffen, eine Chimäre namens „Freier Markt“ mit angeblich „vollständig informierten Teilnehmern“ das bestimmende Ideal, der demagogisch wirksamste Hebel, wenn es um die Überwindung von Fremdbestimmung und Bevormundung der Individuen geht.

Kapitalistische Transformationen werden also von keinem realen, funktionierenden Markt angetrieben oder entlehnt; sie dienen keiner Wirklichkeit, sondern beruhen auf einer Ideologie, einer virtuellen Verkürzung, die, zum Vorteil einer zur Herrschaft drängenden Bourgeoisie, nur vorgibt, den Nachweis zu führen für die Überlegenheit, sogar eine Naturgesetzmäßigkeit der marktradikalen Weltordnung. Kapitalismus ist kein Ergebnis wirklicher Freiheit und Selbstbestimmung, sondern eine Abstraktion, eine nur in der Theorie mögliche Rechtfertigung für die Vorherrschaft einer neuen bürgerlichen, ökonomischen Elite und die Ablösung der alten, aristokratischen Ordnung.

Dieser Ideologie zufolge ist die Bourgeoisie aufgerufen, nach der wirtschaftlichen Führung auch die politische, soziale und kulturelle Leitung zu übernehmen, das heißt eine einseitige und vollständige globale Transformation, die totale Ökonomisierung und Monetarisierung von Gesellschaften voranzutreiben, kurz gesagt: eine Diktatur des Monetariats zu errichten. Deshalb muss eine liberalistische Politik betrieben und Gesellschaften willkürlich und systematisch auf Märkte reduziert werden. Der Markt wird zur bestimmenden sozialen Funktion erklärt und ihm somit auch regulatorische Wirkungen zugesprochen.

Es ist aber faktisch gerade nicht die Aufgabe von existierenden, realen Märkten, steuernd in sozialen Ordnungen zu wirken, also zum Beispiel Modernisierungen von Gesellschaften, wie die Digitalisierung, in irgend geordnete Bahnen zu lenken. Tatsächlich, d.h. in realen Gesellschaften, obliegt dem Markt nur die eine Funktion: Nämlich Konkurrenzkämpfe zu entfesseln zwischen Unternehmen und/ oder Individuen und in diesen Wettbewerben immer größere Produktivkräfte, immer mehr Menschen und Kapital freizusetzen. Er ist eben nicht dafür geschaffen, irgendetwas zu steuern oder anzuleiten, sondern dafür, genau das Gegenteil davon zu tun, nämlich Gesellschaften zu mobilisieren und zu dynamisieren.

Die Freisetzung der Individuen aus feudalen Verhältnissen und traditionellen Bindungen, die sich mit der Moderne, von den europäischen Städtebünden des 12. Jahrhunderts aus, über den Globus ausbreitet, übt auf Gesellschaften die Zentrifugalkraft aus, durch welche die Einzelnen von ihrem gemeinsamen Ursprung weggerissen werden. Und, in umgekehrter Richtung, stehen seither Gesellschaften beständig unter einem maximalen, funktional übergreifenden und sozialräumlich sich ausweitenden Druck, wenn es darum geht, das Handeln ihrer einzelnen Mitglieder und/oder ihrer Gruppen zu integrieren.

Zurzeit haben mal wieder die Dualismen Konjunktur: Individuum oder Kollektiv, Freiheit oder Sozialismus, Entweder – Oder. Schlagwörter und anderes ideologiegeladenes Blendwerk spielen beim internationalen Säbelrasseln eine zentrale Rolle mit der Beschwörung einer real nirgends auffindbaren Systemrivalität. Die Zuspitzung der Konfrontation wird unter Berufung auf allerlei (liberale, kommunistische und andere) Ideale vollzogen, denen aber tatsächlich noch niemals auch nur annähernd entsprochen werden konnte (sofern dies überhaupt möglich wäre). Andauernd wird auf überkommene Formeln hehrer bourgeoiser Ziele zurückgegriffen, die einst in wohlklingenden Verfassungen formuliert wurden. Eine Tatsache aber ist demgegenüber die Anforderung, die an sämtliche Gesellschaften, liberale wie autoritäre, gestellt ist: Es muss ein Ausgleich zwischen der Dynamik und der Statik, respektive der Wirtschaft und der Kultur der eigenen Modernisierung herbeigeführt werden.

Es ist bestürzend zu sehen, wie derzeit der Frieden in dieser Welt, von den Peripherien autokratischer bzw. gescheiterter Staaten ausgehend, durch nationalistische, rassistische, kapitalistische Bewegungen jedweder Spielart in die Zange genommen wird. Dabei wissen wir doch alle sehr genau, dass wir gegenüber den lebensbedrohenden Herausforderungen unserer Tage auf internationale Kooperationen mehr denn je angewiesen sind.

Und dabei waren wir schon einmal auf einem vielversprechenden Weg der Lösung dieses Konflikts, einer Synthese aus egoistischem und altruistischem Handeln mit dem Programm der Sozialen Marktwirtschaft in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Dann aber ist das westliche Zentrum, im Rausch seines Sieges über die osteuropäischen Planwirtschaften, nahezu vollständig dem kapitalistischen Märchen vom sich selbst regulierenden Markt und seiner transformierenden Kraft aufgesessen. Mit beispielloser Naivität haben wir Autokraten, Proto-Faschisten und Gangstern unbegrenzte Mittel überlassen und damit uns selbst und den Rest der Welt aus den Händen gegeben.

Die pluralistischen USA mögen vordergründig wie ein grenzenloser Freiheitsraum anmuten, sind aber ohne öffentliche Interventionen genauso wenig zu erhalten wie die chinesische Ein-Parteien-Demokratie ohne marktwirtschaftliche Strukturen. In der Wirklichkeit gibt es eben nur soziale Mischformen, die “Sowohl-Als-Auchs”, die von den jeweils überkommenen, unterschiedlich ausgebildeten und verteilten, strukturellen Bedingungen wie z.B. der Verfügung über Bodenschätze, dem Umfang der Urbanisierung etc. konditioniert werden.

Und deshalb nutzt Wissenschaft Idealtypen, wie Marx‘ Darstellung einer vollständig uniformierten Gesellschaft im “Kapital”, nur als Hypothese zum Abgleich mit der Realität, einzig aus Interesse an Erkenntnis und, davon ausgehend, zur Einleitung notwendiger Schritte, um die Lage der Menschheit dann in der Tat zu verbessern.

Marx kann auseinandersetzen, unter welchen Umständen unkritisch übernommene Ideen vorhandene gesellschaftliche Grundlagen vernichten und die Entfremdung, die mit der Gier, dem Eigeninteresse des Kapitals verbunden ist, zu einer vollständigen Durchsetzung gelangen kann. Seine Wissenschaft macht deutlich, das viele der bis dato erzielten wie auch der erwarteten Steigerungen der Produktivität zurückzuführen sind auf eine Ausblendung realer Verhältnisse zugunsten kapitalistischer Trugbilder und Verheißungen, die niemals eingelöst, d.h. Wirklichkeit werden können. Das Ergebnis daraus ist, wie an unseren Naturräumen sichtbar, dass die Kosten für die Allgemeinheit die Gewinne für einige Wenige fortwährend übersteigen.

Fußnote: Es sei nachdrücklich darauf hingewiesen, dass der Begriff “Realität” hier ausschließlich auf gesellschaftlich verbindliche Tatbestände angewendet wird. Vorstellungen und Einordnungen, die allein von Individuen getroffen werden, wie qualifiziert diese auch immer sein mögen, sollten grundsätzlich als virtuell betrachtet und niemals als “Realität” bezeichnet werden.

Unser Planet ist seit dem Beginn der Neuzeit Schauplatz totalitärer, entgrenzender Experimente, welche fortwährend, mittels Abstraktion, mögliche Korrektive diskreditieren und sich damit selbst als alternativlos darstellen, so wie das Bestreben von Kapitalisten, Leistung mit Eigennutz gleichzusetzen. Es ist anzumerken, dass einflussreiche Interessengruppen immer darauf aus sind, anstelle von Argumenten Glaubenssätze und Vorurteile zu prägen. Den Nutzen daraus zieht, wie bei jedem Instrument der Unterdrückung, stets die jeweils herrschende Klasse.

Hinzu kommt: Je vehementer Krieg geführt werden, je bestimmender Konkurrenzkämpfe sind, desto leichter lassen sich Ungerechtigkeiten durchsetzen. Und weiter: Je ungerechter Gesellschaften sind, desto öfter werden Vorurteile von Eliten dazu mißbraucht, sich selbst als Vorbilder darzustellen und darüber noch mehr Vorteile für sich zu beanspruchen. Wenn Heraklit also den Krieg den „Vater aller Dinge“ nennt, sagt er damit auch, dass mit jedem neuen Zeitalter ein neuer Krieg beginnt.

Exkurs: Ukraine: Wenn wirtschaftliche und politische Integration umfassenderen und langwierigeren sozialen Wandel erfordern, vergrößert sich auf Seiten des internationalen Kapitals entsprechend das Bedürfnis, den eigenen Einfluss über die Abkürzung der militärischen Intervention zu sichern.

Vor diesem Hintergrund ist die empörende, Lebensgrundlagen vernichtende, derzeitige konventionelle Aufrüstung zu erklären, mittels derer sich deutsche, russische, chinesische, amerikanische und andere Eliten in Stellvertreterkriegen ihre kurzfristigen Renditen zu sichern trachten. Dabei führen sie sich auf, als wären sie im Recht des Angegriffenen, wie Kinder, die sich gegenseitig ihr Spielzeug wegnehmen und tun, als hätten sie noch nie von Kollektivschuld und Sippenhaftung gehört. Die sich damit aufdrängenden Fragen sind, Erstens: Ob Bevölkerungen, wie von verantwortungsbewussten Menschen zu erwarten wäre, sich ab einem gewissen Grad der Eskalation aufgefordert sehen, dem Treiben ein Ende zu setzen, und Zweitens: Welche Umstände die Höhe ihrer Reizschwelle bestimmen.

Der Profithunger richtet sich zuerst auf die Gesellschaften des globalen Südens und Ostens, auch weil diese aufgrund mangelnder industrieller und tertiärer wirtschaftlicher Entwicklung in der Breite ihrer Bevölkerungen weniger organisiert sind und leichter gefügig gemacht werden können. Zudem wirkt sich begünstigend aus, dass die Invasoren nach der Eroberung weniger auf die Kooperation der einheimischen Bevölkerungen angewiesen sind. Hier geht es in erster Linie um die Kontrolle und Ausbeutung von Rohstoffen; Arbeiten also, die im Bedarfsfall auch von Maschinen erledigt werden können.

Aufrüstung in einer solchen Region zieht unweigerlich Aufrüstung in benachbarten Regionen nach sich, da von neuen Waffen in den Händen sozialstrukturell rückständiger (und dabei häufig auch von Korruption gebeutelter) Systeme überproportionale Risiken ausgehen. Das ist auch der Grund dafür, weshalb die entwickelteren und atomar bewaffneten Nationen keine Schutzgarantien für diese Gebiete übernehmen können, ohne sich gleichzeitig in die Gefahr eines “Overkill” zu begeben. Einer zynischen Vernunft folgend, ist damit einem Kolonialismus 2.0 und, in dessen Folge, einem dritten, konventionell geführten Weltkrieg, nach Jahrzehnten relativen Friedens unter der atomaren Abschreckung, wieder Tür und Tor geöffnet.

Um den Zirkel der totalen Gier durchbrechen zu können, scheint die Drohung mit der totalen Vernichtung durch die Atombombe unerlässlich. Wie in vor-modernen Zeiten die absolut gesetzte gemeinschaftliche Pflicht die Menschen als Untertanen in den Kriegsdienst gezwungen hat, so hintertreibt in unseren Tagen die zynische Logik der maximalen Rendite die Beendigung der Waffengänge. So wird konventionelle Aufrüstung unweigerlich zu konventionellen Kriegen führen.

Nichts ist derzeit lukrativer als die Produktion konventioneller Waffen, nichts untergräbt zugleich nachhaltiger die Grundlagen des Fortschritts und des allgemeinen Wohlstands als das endlose, gegenseitige Beharren auf Maximalforderungen, also auf den unsolidarischen Idealfall, alles zu bekommen und nichts dafür zu geben. Wenn Staaten, zur Sicherung ihrer Investitionen, auf die Ziehung harter Grenzen bestehen wollen, werden sie einen Preis für die Option auf zukünftige Profite zahlen müssen. Es obliegt den Völkern, ihre Vorstellungen von den vertretbaren Preisen zu formulieren und dann Frieden zu schließen.

Konkurrenzen zwischen Unternehmen und auch zwischen Staaten oder Weltregionen können zu einem allgemeinen Fortschritt beitragen nur da, wo Austausch ohne Zerstörung von Lebensgrundlagen möglich ist. Wir sollten bei der aktuellen Wettbewerbsseligkeit nicht vergessen, dass Kapitalisten letztlich niemals aufhören werden, innerhalb und über Grenzen hinweg, sich gegenseitig als Imperialisten zu beschimpfen, dass sie die politische Diskussion auf ihre Linie zwingen und Gesellschaften auf maximal profitable Kriegswirtschaften reduzieren wollen. Und deshalb werden sie fortgesetzt behaupten, dass der Sieg des eigenen Regimes allein die Voraussetzung für ewigen Frieden schaffen wird und dabei unterschlagen, dass allgemeiner Wohlstand nicht einfach als eine Dividende zufließt, sondern täglich – innerhalb spezifischer struktureller Rahmenbedingungen – erarbeitet werden muss.

Das Gerede von der Verteidigung geteilter Werte auf der eigenen oder der Kriegsschuld der jeweils anderen Seite ist unglaubwürdig, solange mit Kriegen Profite erzielt werden. Diese sind im übrigen das Einzige, das durch Kriegführung gewonnen werden kann. Erst wenn die Gefahr des Marktradikalismus gebannt ist und Rüstungsindustrien unter die Kontrolle von demokratischen Öffentlichkeiten gebracht sind, können Kriegen die objektiven Grundlagen entzogen werden.

Ideologien streben danach, ganze Gesellschaften für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. So ist die, aus ökonomischen Vorurteilen hervorgegangene Ideologie des Liberalismus losgetreten worden, um eine umfassende Deformation sozialer Systeme im Sinne egoistischen Handelns durchzusetzen. Auf dem politischen Feld äußert sich diese Tendenz in dem Willen, jedem, auch noch so einseitigen Interesse mittels Gesetzgebung allgemeine Gültigkeit zu verschaffen.

In Konkurrenz-Demokratien ist zu beobachten, dass auch die politische Teilhabe der Bevölkerung zunehmend arbeitsteilig gestaltet, rationalisiert ist und die Vertretung der eigenen, zunehmend eigensüchtigen, Interessen an eine steigende Zahl von verfassungsfeindlichen Parteien und, in der Mehrzahl, privaten, digitalen Medienunternehmen delegiert wird. Diese Akteure beanspruchen das Monopol auf die öffentliche Diskussion und die Weise, wie diese geführt wird, ohne zu erklären, wie dies mit einem Handeln in Verantwortung zu vereinbaren wäre. Über einen, mittels Algorithmen verselbstständigten, automatisierten Hang zur Polarisierung und Überbewertung abweichender Positionen verstellen sie den vorurteilsfreien Blick auf die realen Herausforderungen des gesellschaftlichen Zusammenhalts und der Aufrechterhaltung gemeinschaftlicher politischer Kulturen.

Es gibt also sowohl auf der aktiven wie auf der passiven Seite der politischen Repräsentation viele gute Gründe dafür, nicht jede extremistische Idee in Parlamenten zur Vertretung kommen zu lassen, sondern Zugangsbeschränkungen wie z.B. Prozenthürden zu etablieren oder zu verschärfen, um das politische Zersplittern der Parlamente zu beenden, Mindeststandards eines Konsenses zu setzen und die Bildung tragfähiger, dem Allgemeinwohl dienender Regierungen zu ermöglichen. Darüberhinaus wird es unerlässlich bleiben, die Vertreter demokratischer Parteien durch persönliche Ansprachen und öffentlichen Druck zur konkreten Durchsetzung allgemeiner Interessen zu bewegen. Anderenfalls wird der Liberalismus, mit sich selbst, auch die Liberalität unserer demokratischen Grundordnungen in die Katastrophe des Krieges reißen.

Es ist beschämend und gebietet unserer Solidarität, wenn rassistische Anhänger der Hamas, unter dem Vorwand der Sicherung der palästinensischen Selbstbestimmung, jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger bedrohen. Gleichzeitig ist die Öffentlichkeit aufgefordert, die verlogenen Versuche von israelischen, deutschen, arabischen und anderen Faschisten aufzudecken, die sich hinter dem Rassismus der Gegenseite verschanzen, um jeden Versuch der Aussöhnung von vornherein als zerstörerische List zu verleumden.

Wenn faschistoide Regierungen durch ihren Terror den Nährboden für gegnerischen Terrorismus bereiten, auf den sie wiederum als gezwungen mit Krieg zu antworten sich darstellen, werden wir Zeugen von Paradebeispielen zynischer Vernunft. Und wir sehen eine Ausbreitung faschistischer Organisationen religiöser Fanatiker und eine weltweite, sich gegenseitig verstärkende, Dynamik des Rassismus sowohl im Zentrum als auch in der Peripherie des Kapitalismus. In der denkbar perfidesten Weise tarnen sie ihre Menschenverachtung auch noch mit dem Gestus von Freiheitskämpfern für die Sache der Unterdrückten. Und sie erstreiten auf den Oberflächen sensationsgieriger, kritikfreier Medien immer mehr Aufmerksamkeit und Marktanteile.

Die kapitalistische Grundhaltung, alles Handeln dem Profit unterzuordnen, zieht systematische Vernichtung nach sich. Alles, was dem Interesse der herrschenden Klasse entgegengesetzt ist, wird mit einem totalen Krieg überzogen. So werden weltweit die Städte von der Bourgeoisie an der Entfaltung ihrer überkommenen, eigenlogischen Funktionen gehindert. Die Formulierung und die Repräsentation des öffentlichen Interesses wird durch einseitige Nutzungen und Privatisierungen des öffentlichen Raumes unmöglich gemacht. Ethnische und soziale Segregation, erzwungene Uniformität des Stadtbildes, steigende Abhängigkeit von der Hochfinanz, Verarmung an eigenen Ressourcen wie z.B. lokalen Produktions-Standorten und eine ausufernde Überwachung zwecks Sicherung des Privateigentums sind einige der krassesten Folgen.

Alle Menschen, die sich in ihren partikularen Lebensentwürfen durch sie umgebene Mehrheiten bedroht sehen, alle Bevölkerungsgruppen, die sich an vielerlei spezifischen Fronten in Gefahr und jenseits roter Linien wähnen, seien daran erinnert, dass es heute, nach der Eindämmung des von Autokratien ausgeübten, politischen Imperialismus, nur noch eine relevante Bedrohung gibt, grundsätzlich nur noch ein Krieg geführt wird. Dieser Krieg verläuft nur in der nördlichen Hemisphäre unter der Oberfläche eines vermeintlichen Friedens, tobt aber in Wahrheit überall und permanent auf unserem Globus, wird durch anti-solidarische Rhetorik angefacht und durch individualistische Strukturen verstetigt und heißt Kapitalismus. Endet die Herrschaft dieser Ideologie, enden alle derzeitigen Auseinandersetzungen, da diese nur vermeintlich auf sozialen Widersprüchen, in Wahrheit aber auf der Initiative von Eliten gründen. Dieser Umstand wird verschleiert, damit, ungeachtet der realen, systematischen Ausbeutung, im Kriegsfall auf die Kooperation der Bevölkerungen zurückgegriffen werden kann.

Exkurs: EU/ Brexit: Wie Ideologien Gemeinschaften zerstören, ist auch am Beispiel des Brexit gut nachzuweisen. Wo, nicht der Elite angehörige, Interessengruppen mit ihren Anliegen kein Gehör finden in den europäischen Elfenbeintürmen; sei es, weil es ihnen an ökonomischem Gewicht fehlt, sei es – damit zusammenhängend – wegen politischer Strukturschwächen bzw. fehlender “governance” innerhalb der EU, da wird Vielfalt eingeebnet, der Reichtum an unterschiedlichen Lebenswelten ohne Notwendigkeit preisgegeben. Im Fall einiger britischer Einzelhändler, die sich unter dem Begriff “Metric Martyrs” vereinten gegen das Brüsseler Diktat, die metrischen Maßangaben auch in Großbritannien als alleingültig durchzusetzen, war von einer Randerscheinung die Rede. Bei der Abstimmung über den Austritt Großbritanniens könnte die Mobilisierung durch die Widerstandskämpfer aber den Ausschlag für den Austritt gegeben haben.

Wenn wirtschaftliche Interessengruppen zugleich die Meinungsführerschaft innehaben, können mehrere Felder sozialen Handelns zu einer gegenseitigen Verstärkung dieser Dynamik genutzt werden. Auf diese Weise konnten Argumente für Freiheit und Eigenverantwortung, die mit der “Aufklärung” maßgeblich wurden, in Werkzeuge liberalistischer Kampagnen deformiert werden, einzig dem Zweck dienend, exzessive Differenzierungen voranzutreiben, individuelle Beiträge und Nutzen zu überhöhen und kollektive Zuschreibungen und Verantwortlichkeiten immer weiter zurückzudrängen.

Fußnote: Dass ein Unterschied besteht zwischen “liberal” und “liberalistisch” hat sich bis in Kreise der Bundesregierung noch nicht herumgesprochen. Auf die Frage nach den Ursachen für den weltweiten Rückzug des Liberalismus und des zu beobachtenden Aufstiegs autoritärer Herrschaft äußerte der aktuelle Bundesfinanzminister Christian Lindner in einem Interview des “Zeit”-Magazins die Vermutung, dass vielerorts der Wert der Freiheit noch immer nicht erkannt worden sei.

Der Grund für die Rückkehr des Autoritarismus liegt aber vielmehr in dem Umstand, dass Kapitalisten institutionalisierte Verantwortungslosigkeit, also Liberalismus meinen, wenn sie von Freiheit sprechen. Und es sind die von ihnen betriebenen Liberalisierungen, gegen die zur Wehr zu setzen ärmeren Völkern strukturell weniger möglich ist als hochqualifizierten Arbeitnehmern hierzulande. Deswegen wurden und werden dort vermehrt autoritäre politische Führungen gewählt mit dem Auftrag, ihre Staaten gegen globale Märkte abzuschotten und darüber nationale Entwicklung zu fördern und das Wohlstandsgefälle zu den Ländern des globalen Nordens zu verringern. Diese hatten selbst, nach dem Zweiten Weltkrieg, eine solche, der ökonomischen Theorie von J. M. Keynes folgende Wirtschaftspolitik betrieben.

Und deshalb ist die Weltgemeinschaft weiterhin aufgefordert, die weniger entwickelten Länder dieser Erde vor dem zügellosen Zugriff der Kapitalisten zu bewahren und ihnen damit die Möglichkeit zu geben, langfristig von der politischen Notlösung des Autoritarismus, wie Militärjuntas, Kriegswirtschaften und nationalistischen Abschottungen absehen zu können. Wohlfeile Hinweise auf die Überlegenheit des Freihandels unterschlagen die Tatsache, dass die Grundlagen für die Vorteilsnahme der heute führenden, in erster Linie profitierenden Nationen dereinst durch Kriege, Kolonialismus, Protektionismus und staatliche Umverteilungen erst geschaffen wurden.

Die, spätestens mit dem Ende der Goldpreisbindung und der Aufkündigung des Bretton-Woods-Abkommens 1971 beginnende, jahrzehntelange politische Unterstützung der Auswüchse des Liberalismus hat das Vertrauen in unsere Konkurrenz-Demokratien schwer erschüttert und ist die Ursache für die Renaissance autoritärer Herrschaft in ärmeren Ländern. Und wenn unser globaler Westen – aus welch ehrbaren Gründen immer – auch noch so viel demokratische Sonntagsreden schwingt und eine Kulturkampf-Stimmung verbreitet: Solange wir für uns selbst (und damit auch für andere) keinen tragfähigen Ausgleich zwischen individuellen und kollektiven Interessen zustande bringen, wird die Nachfrage nach Führern wie Putin, Erdoğan und Xi nicht zurückgehen.

Wie die liberalistische Ideologie soziales Handeln ad absurdum führen kann, wird insbesondere deutlich anhand öffentlicher Investitionen, bei denen private Geldgeber mitwirken sollen (z.B. in Form sogenannter PPPs). Im Bereich der kritischen Infrastrukturen zeigt sich bald, dass die erhofften Profite sich nicht einstellen wollen, weil hier weder unbegrenzt Einsparungen vorgenommen werden können, noch eine willkürliche Verknappung der Güter, also eine Exklusion von Marktteilnehmern, z.B. mittels Preiserhöhungen, durchgesetzt werden kann.

Fußnote: Ob Märkte der Nachfrage folgen, erscheint angesichts des exzessiven Angebots unserer Kaufhallen zunehmend fraglich. Eine entgegengesetzte These lautet, dass in Konkurrenzen solange überproduziert wird, bis nur noch ein Anbieter kostendeckend arbeitet. Damit sind ständig die Preise unter Druck, was die Entstehung des Überangebots zusätzlich begünstigt und das ganze Kartenhaus der Überstimulation schließlich zu einem Schulden-Haufen zusammenbricht. Genau dieser Spirale der Überproduktion entziehen Produktionsgenossenschaften jetzt die Grundlage. Die Früchte werden hier auf Bestellung geliefert.

Exkurs: GDL: Die aktuelle Auseinandersetzung zwischen der GDL und der Deutschen Bahn hat ihre Ursache in der Aktien-Gesellschaftsform der DB, die der strukturellen Logik eines öffentlichen Grundversorgers widerspricht. Es ist bezeichnend, dass regionale Dienstleister mit ihren, auf spezifische Nachfragen ihrer Kunden zugeschnittenen Angeboten sich schnell mit der Gewerkschaft einigen konnten. Die überregional tätige Deutsche Bahn hingegen, die flächendeckend arbeiten und damit auch defizitäre Strecken bedienen muss, gleichzeitig aber, wegen ihrer Aktionäre, profitabel zu sein hat, schlingert in diesem Dilemma von einem Streik in den nächsten.

Anstatt dieser Zwickmühle aber die kapitalistische Grundlage zu entziehen und die kurzsichtige Privatisierung der Bahn rückgängig zu machen, haben einige bundesdeutsche Politiker vorgeschlagen, für kritische Infrastrukturen das Streikrecht einzuschränken. Ein solches Vorgehen wäre aber erst dann zu rechtfertigen, wenn man den Beschäftigten der Bahn auch entsprechende, mit dem Status von Beamten vergleichbare, Absicherungen gewährt. Den zweiten Schritt vor dem ersten tun zu wollen, ist nicht dazu angetan, das Vertrauen der Arbeitnehmer in die politische Führung zu stärken.

Infrastrukturen sind durch ihre Eigenlogik dem Markt diametral entgegengesetzt, nämlich auf Inklusion ausgerichtet, weil diese Strukturen umso mehr Sinn machen, das heißt umso funktionaler sind, je anschlussfähiger und flächendeckender sie zur Verfügung stehen. So ist z.B. für den ÖPNV eine nahtlose und maximale räumliche Ausweitung des Angebots bis zur sogenannten “letzten Meile” von entscheidender Bedeutung für eine effektive Steigerung der Fahrgastzahlen und damit ihren absoluten und relativen Erfolg.

Ein noch augenfälligeres Beispiel kann mit der Wasserversorgung gegeben werden: Ein konkurrenzfähig hoher Profit wäre hier letztlich nur mit Abstrichen bei der Qualität des Trinkwassers zu erreichen, also über ein Produkt, das sich durch die mit ihm verbundenen gesundheitlichen Risiken schon von selbst verbietet. In England haben private Wasserversorger in den letzten 30 Jahren circa 74 Milliarden Euro Dividenden an ihre Anteilseigner ausgeschüttet, indem sie die Netze kaputtgespart haben. Mittlerweile sind ganze Landkreise auf die Versorgung aus Tankwagen angewiesen, weil aus den Leitungen kein trinkbares Wasser mehr zu bekommen ist.

Exkurs: BR Deutschland: Die Zurückweisung des zweiten Nachtragshaushalts durch das deutsche Bundesverfassungsgericht am 15.11.2023 ist sicherlich juristisch einwandfrei begründet, dabei aber auch ein Rückschlag für die Allgemeinheit, die auf Investitionen, z.B. in die energetische Transformation in Deutschland, gehofft hatte. Energieprojekte gehören, wie oben erläutert, wesentlich zu den staatlichen Aufgaben, die von privaten Investoren nicht hinlänglich konsistent und damit auch nicht sozial verträglich zu erfüllen sind.

Eine „Schuldenbremse“, die als alleiniges Kriterium das Bruttoinlandsprodukt anführt, beinhaltet nichts weiter als eine undifferenzierte Forderung nach Austerität. Sie beantwortet in keiner Weise die Frage, wie Deutschland verantwortungsvoll mit seinem Etat umgehen kann. Die Bundesrepublik ist aus gutem Grund, gemäß der Verfassung, verpflichtet, die erhobenen Steuern im Sinne der Allgemeinheit einzusetzen, d.h. die Voraussetzungen zu schaffen, dass alle Bürger*innen Zugang zu grundlegenden Ressourcen wie Bildung, Wohnen oder Mobilität erhalten.

Wenn die Behauptung unwidersprochen bleibt, dass Volksvertreter nicht wissen zu können, wofür das erhobene Steueraufkommen gerecht, das heißt im Sinne der Allgemeinheit zu verwenden sei, und deshalb ein primitiver Haushaltssperren-Automatismus in die Verfassung geschrieben wird, ist das nichts weniger als eine Kapitulation vor dem Neoliberalismus. Die Konsequenz aus der höchstrichterlichen Entscheidung kann demnach nur eine Mobilisierung der Bevölkerung sein mit dem Zweck, den kapitalistischen „Schuldenbremse“-Paragrafen entweder um die nötigen Einschränkungen zu ergänzen oder schnellstmöglich wieder aus der Verfassung streichen zu lassen.

Dem Frieden ganz allgemein wäre ein nachhaltiger Dienst erwiesen, wenn die Ökonomisierung der fundamentalen Versorgungsleistungen zurückgenommen würden. Die weltweite Vergesellschaftung der Rohstoffindustrien und eine lückenlose und angemessene Besteuerung aller Industrien und Dienstleistungen (eine Schließung von Steuerschlupflöchern verbunden mit Verboten schädlicher Finanzmarktprodukte) wären weitere wichtige Schritte, um international die gefährlichsten Krisenstifter des Kapitals an die Kette zu legen.

Innenpolitisch sollten kommunale Verwaltungen die Bereiche des sozialen Wohnungsbaus, der Bildung und des ÖPNV verantworten und zusätzlich, in solidarischen Ökonomien, die sozialräumliche Integration von Produktion, Distribution und Konsumtion (z.B. über Genossenschaften) angestrebt werden. (-> MX)

Unter diesen Voraussetzungen könnten Wettbewerb und Freihandel – in den verbleibenden, zur Exklusivität geeigneten Bereichen – langfristig für die Menschheit nützlich sein. Die Behauptung, mehr Markt brächte Gesellschaften mehr Freiheit ist dann nicht haltbar, wenn das Kapital aus ideologischen Gründen auch auf Bereiche ausgedehnt wird, die nur unter der Preisgabe ihrer Eigenlogik, ihrer gesellschaftlichen Funktion profitabel gemacht werden können. Dann werden Kollektivinteressen ausgeklammert und grundlegende öffentliche Strukturen zerstört.

Von interessierten Kreisen wird derzeit wieder einmal die Kapitalmarktrente ins Spiel gebracht. Solchen extremistischen Vorstößen könnte man, ähnlich schlicht und radikal, mit der Frage entgegnen: Warum sollten Arbeitnehmer für ihre Altersvorsorge auf Produkte zurückgreifen, die erst durch die Vernichtung ihrer Arbeitsplätze möglich gemacht wurden?

Betrachten wir die Problematik etwas differenzierter, werden wir feststellen, dass einige technische Innovationen, ausgehend von Märkten, auch viele neue Arbeitsplätze geschaffen haben. Diese Beobachtungen sollten aber nicht dazu verleiten, im Vergleich zu öffentlicher Planung, marktwirtschaftliches Handeln generell als effizienter einzuschätzen.

Für kritische Infrastrukturen lässt sich feststellen, dass zumeist nicht Qualitätssteigerung, sondern Einsparung das entscheidende Motiv für Privatisierungen ist, Rationalisierungen antreibt. Bei deren schon erörterter, in der Strukturlogik angelegten, niedrigeren Produktivität sollten nicht Maßstäbe anderer, z.B. mittels Skalierung leichter profitabel zu machende Wirtschaftszweige angelegt werden.

Anstatt noch mehr Geld in Finanzmärkte zu pumpen, sollte das Steueraufkommen besser in Sachwerte wie den sozialen Wohnungsbau oder in die Bildungssysteme investiert und damit den Menschen Möglichkeiten eröffnet werden, um in Zukunft weniger von ihren Einkommen oder ihrer Altersvorsorge für die notwendigen Dinge des Daseins aufbringen zu müssen.

Fußnote: In derselben Richtung wirken heute schon Regulierungen wie die Energiepreisdeckel, um die nicht verhandelbare Grundversorgung auch für einkommensschwache Bevölkerungsgruppen gewährleisten zu können. Damit davon nicht gleichzeitig auch besser verdienende „Schwerverbraucher“ profitieren, werden zusätzlich Pro-Kopf-Kontingente bemessen, bis zu deren Höhen die Preise festgeschrieben werden.

Ideologien verkürzen typischerweise menschliches Handeln auf einzelne, ihrer Meinung nach entscheidende Momente, auf einzelne Aspekte der Wirklichkeit. Der Individualismus verkürzt den Begriff der Freiheit auf den Moment der Freisetzung, ohne zu erklären, von woher und wohin Menschen freigesetzt werden. So wie Tatsachen aber immer an reale Orte gebunden sind, ist wirkliche Freiheit immer praktische Verfügbarkeit, hier die Möglichkeit, entweder im partikularen oder im allgemeinen Interesse zu handeln.

Grundsätzlich wäre zu den Ordnungen zurückzukehren, die im Abkommen von Bretton Woods 1944 vorgesehen waren und die nicht zuletzt den europäischen Nationen nach dem Zweiten Weltkrieg den Wiederaufbau mit tragfähigen öffentlichen Strukturen gestatteten, z.B. mit Hilfe von Schuldenmoratorien den Staaten Handlungsfreiheit eröffneten. Es ist, aller Voraussicht nach, unerläßlich, dass die reichsten Staaten auf diesem Weg vorangehen, um den ärmeren Gesellschaften diese Entwicklungspolitik ebenfalls zu ermöglichen.

Mit der Durchsetzung der bürgerlich-zweckrationalen Weltanschauung und ihrer Dogmen haben Menschen immer wieder dessen Anrecht auf Vorherrschaft bestritten, so wie Künstler in vorangegangenen Epochen feudale oder absolutistische Herrschaftsansprüche angefochten haben.

Demokratische Bewegungen haben das kapitalistische Primat sowohl auf dem Feld der Ökonomie bekämpft wie die Arbeiterbewegungen (-> Knights of Labour, Internationale, Genossenschaften) als auch die gesellschaftliche Ordnung von einem gegenkulturellen Standpunkt herausgefordert, wie im Protest des „Proletkult“ gegen die Willkür der Eliten oder, z.B. in Fußballstadien, gegen kommerzielle Interessen, gegen die Preisgabe des ursprünglich unrentablen, vom ritterlichen Turnier abstammenden Charakters des Sports.

Sie tun dies entweder aus einer progressiven, agitierenden Grundhaltung wie die “Incroyables” oder die Punks (-> Die Ätztussis) oder von der Gesellschaft abgewandt, absentierend wie Retro-Romantiker oder Rechtsrocker. In beiden Fällen werden der kapitalistischen, spießbürgerlichen Ordnung grundsätzliche Absagen erteilt und, zumeist ebenso radikale, alternative Weltanschauungen entgegengesetzt.

Fußnote: Die Kulturkämpfer verbünden sich nicht immer mit politischem Extremismus. Im Fall nationalistischer Strömungen, wie die von der AfD repräsentierten, wird der Kapitalismus einer ökonomischen Elite aber zusätzlich mit dem Faschismus, dem individualistischen Kult autoritärer, genialer politischer Führer unterfüttert und versucht, Diktatur und weltumspannende Herrschaft kurzerhand durch Kriege zu erreichen. Ihre Hauptdarsteller bemänteln dabei ihre profane Gier gerne mit einem erzkonservativen, feudalen Gepräge und Appellen an Gottvertrauen, Traditionspflege und Zusammengehörigkeitsgefühle.

Auch linksextreme Beispiele für das Prinzip der absoluten Macht, hier der einer politbürokratischen Klasse, sind in der Geschichte zu finden. Über solche repressiven, autoritär-antiliberalen Anmaßungen hinaus weisen Kunst und Wissenschaft, z.B. die historisch-kritischen Arbeiten von Marx und Engels auf die realen, strukturellen Ursachen illegitimer Herrschaft und auf tragfähige Wege aus der Unterdrückung.

Verkürzend formuliert, werden von diesen Akteuren alternative Wertvorstellungen und ästhetische Normen als Leitfäden für Gegenentwürfe gesellschaftlichen Handelns eingesetzt. Die kritische Ausrichtung ihrer Künste wird bisweilen in radikalen Absagen an bourgeoise Schönheitsideale deutlich, z.B. in den Überzeichnungen und extremen Perspektiven von Italo-Western oder osteuropäischer Filmschaffender wie Eisenstein, Tarkowski, Polanski und andere. Durch gezielte Verfremdungen, formale Kritik hindurch spricht dann die große Kunst für sich selbst, ohne von außerhalb erklärt werden zu müssen. Auch das Übernehmen industrieller Produktionsformen durch die Pop-Art bedeutet einen Bruch mit dem bürgerlichen Kunstbegriff und der damit verbundenen Verwertungslogik.

Einfach gestrickte Vorstellungen von einer selbststeuernden Auflösung gesellschaftlicher Konflikte in einem hedonistischen, postmaterialistischen Zeitalter führen aber in ein Nirgendwo. Auf den ersten Blick als realistische Gegenentwürfe erscheinend, gründen sie tatsächlich auf der ideologisch motivierten Negation sämtlicher Materie zugunsten der einen, von der Bourgeoisie als universell gesetzten Form: dem Geld.

Von dieser Voraussetzung ausgehend wird, in einem Zirkel individueller Aneignung und Selbstermächtigung, eine totale Überwindung der von der stofflichen Welt auferlegten Zwänge nur vorstellbar. Es ist diese, von einem idealistischen Dogma geprägte Selbstverwirklichungssucht, die sich fortwährend, auch bei vielen progressiv orientierten Gruppen, wie z.B. den Hippies, durchgesetzt und damit potentielle Kräfte gesellschaftlicher Erneuerung auf egozentrische Abstellgleise in der sogenannten “Me-Decade” geführt hat.

Der Markt wird zur Identität und diese wird wiederum vermarktet. Gemeinsam geteilte Wertvorstellungen der “Gerechtigkeit” oder der “Authentizität” werden, umgemünzt, ökonomisch nutzbar gemacht, wenn die legitim erhobene Forderung nach Repräsentation unterschiedlicher sozialer Rollen, in einer geradezu menschenfeindlichen Individuierungssucht und Differenzierungswut, in das Gegenteil einer öffentlichen Debatte verkehrt wird.

Es geht dann eben nicht mehr um Relativierung etablierter gesellschaftlicher Muster, das heisst, in diesem Fall, darum, eine Person darzustellen, so wie sie für die Anderen erscheint, sondern um Selbstveräußerung, darum, für sich selbst zu sein, wer dargestellt ist, ungeachtet der damit unmöglich gemachten Verständigung mit ihren Gegenüber.

Grell beleuchtet wird dieses marktradikale Prinzip anhand von, als seriöse Rundfunkformate getarnten, Dauerwerbesendungen, wie sie z.B. im Zuge der sogenannten „Gender-Debatte“ Raum greifen. Im Zentrum der damit einhergehenden Kampagnen steht – sinn- und zusammenhanglos dargestellt und deshalb vorzugsweise als „authentisch“ verunglimpft – individuelles, abweichendes Verhalten; und eben nicht konventionelle oder unkonventionelle Geschlechterrollen, wie es der Gebrauch des Begriffs “gender” vorspiegelt. Existierende, real problematische Rollenmuster werden in solchen Mogelpackungen unterschlagen, indiskutabel, der Öffentlichkeit entzogen.

Qua Sternchen allein sind kapitalistische Normen nicht zu erledigen: Sie führen, jetzt nur sozusagen unter dem Radar der Öffentlichkeit, weiter das Werk der Zersetzung fort, zu deren Zweck sie seit jeher dienen. Um nicht mißverstanden zu werden: Ich bestreite weder die hohe Würde des Individuums, noch den hohen Wert der Freiheit und des Wettbewerbs. Wir sollten aber das erste nicht zum Götzen und das zweite nicht zum Dogma degradieren, sondern uns immer bewusst machen, dass wirkliche Freiheit ebenso wie realer Frieden innerhalb von Gesellschaften erkämpft werden.

Hohe Ansprüche an sich und andere zu stellen, ja selbst die Erhebung von, vordergründig unvernünftig scheinenden, Maximalforderungen bezüglich der sozialen Entwicklung ist zielführend, solange nicht Fakten geleugnet und damit echter Fortschritt verhindert wird. Dies wird aber umso wahrscheinlicher, je stärker in einer Gesellschaftsordnung nur einzelne Dimensionen des Handelns, wie z.B. wirtschaftlicher Tausch oder politische Führung, als vorrangig angesehen werden.

Die Fähigkeit, zwischen Worten und Realität unterscheiden zu können, ist eine der zentralen Grundlagen der Erkenntnis. Sie ist Voraussetzung, um die Wertfülle sowohl der Formen als auch der Inhalte zu identifizieren, den Verhältnissen Sinn geben zu können. Deshalb sind auch die Erzeugung von Widersprüchen und (scheinbaren) Sinnlosigkeiten (z.B. in der Karikatur) zentrale Ziele der schönen Künste und Steigerungen unseres Verständnisses von der menschlichen Existenz.

Die rassistische Geschichte von Begriffen wie „Mohren“ oder der Figur des „Swarte Piet“ zu diskutieren, kann hilfreich sein, um Diskriminierungen aufzudecken. Es sollte dabei aber klar werden, dass mit Verboten problematischer Wörter nur die kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte unterbunden wird, während die kritikwürdigen Verhältnisse unverändert bleiben.

Die Wirklichkeit wiederum, die, neben der Kunst (gemeint ist hier die Kunst, die sich selbst genügt und nicht programmatisch aufgeladen werden muss), auch in der Wissenschaft zum Ausdruck kommt, befindet sich in einer fundamentalen Opposition zu jeder Form bloßer Anmaßung wie illegitimer begrifflicher Aneignung und Verboten, ungeachtet der zur Herrschaft drängenden Gruppe, die den Schwindel betreibt.

Fußnote: Es lässt sich weiterhin trefflich streiten über die optimale Strategie, gesellschaftlichen Wandel voranzutreiben. Exemplarisch hierfür kann das Gespräch stehen zwischen einer Vorständin der „Letzten Generation“ und Sahra Wagenknecht bei „Markus Lanz“. Während erstere der autonomen, anarchistischen, sozusagen von außen herangehenden Aktion das Wort redete, plädierte Wagenknecht dafür, die gesellschaftlichen Funktionen und ihre Träger bei einer Zielverfolgung im Blick zu behalten, sozusagen innerhalb des Systems zu verändern. Wie oben erörtert, sollte diese Frage auf der fundamentalen Ebene der Materie, anhand der Eigenlogik, die dem adressierten Problem zugrunde liegt, entschieden werden.

Exkurs: Wenn das Recht des Individuums auf Selbstverwirklichung nicht nur als absolut, sondern als übergeordnet gesetzt ist, kann das in der Digitalisierung zwei besonders krasse Ergebnisse zeitigen. Zum einen, dass der unbedingte Vorrang sämtlicher, auch noch so partikularer Privatinteressen zu einer Staatsräson erhoben und mit allen zur Verfügung stehenden Kräften der Strafverfolgung bewaffnet wird (und damit eine Art Rechts-Industrie aus dem Boden gestampft wird) und zum anderen, im Umkehrschluss, dass diese somit total freigesetzten, per se unberechenbar gefährlichen Individuen dann permanent mittels der modernsten elektronischen Apparate überwacht werden müssen, was wiederum enorme Zugewinne für die IT-Branche generiert.

Wie die Medaille auch gedreht und gewendet wird: das Individuum bleibt sowohl für sich als auch ein Teil der Gesellschaft. Bildung sollte daher sowohl das Recht auf Abgrenzung und Individuation als auch das Recht auf Integration und Sozialisation thematisieren und diesen Ansprüchen auch zur Durchsetzung verhelfen. Wir brauchen deshalb gleichberechtigten Widerspruch in der Öffentlichkeit und keine von Meinungsführern und anderen Eliten gesteuerten Zensurmaßnahmen, wie vordergründig emanzipatorisch diese auch scheinen mögen. Im Hinblick auf das Internet ist jedes kommentarlose Entfernen, auch von strafbaren Beiträgen, grundsätzlich abzulehnen, zumindest wenn dies dauerhaft geschieht und Dateien, auch nach erfolgter Kommentierung bzw. der Verfremdung strafbarer Inhalte, nicht wieder sichtbar gemacht werden.

Allen sozialen Systemen liegen Bewegungen, Hierarchien von Antrieb und Steuerung, Dynamik und Statik zugrunde. Das bedeutet, dass funktionale Räume wie z.B. Kulturkreise innerhalb und zwischen Gesellschaften sich aufeinander zu und voneinander weg bewegen können, während sie sich miteinander austauschen. Der soziale Zusammenhalt innerhalb von Gesellschaften wird entscheidend durch die Verhältnisse zwischen Zentren und Peripherien definiert.

Mit diesen Bewegungen stellen sich auch Fragen bezüglich der herrschenden Mechanismen der gegenseitigen Abgrenzung. Erfolgt dieser Prozess entlang unmittelbarer, direkter Trennlinien oder vielmehr mittelbar, durch gemeinsame Übergangsräume, sozusagen über geteilte Umwelten? Und wie unüberwindlich kann eine Grenze schließlich sein, wenn sich die verschiedenen Systeme in erster Linie über ihre Gemeinsamkeiten definieren?

Fußnote: Erinnert sei hier an den Konflikt um die Neutralität Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg, durch die eine Teilung des Landes vermieden werden sollte. Damals wurde entschiedenen Blockbindungen mit einer scharfen Grenzziehung zwischen den beiden deutschen Teilstaaten der Vorzug gegeben. Dies hat den sogenannten “Kalten Krieg” zwar kalt gelassen, aber nach der Wiedervereinigung für weite Teile der Bevölkerung auch zu erheblichen Transaktionskosten geführt, als, wiederum angeblich aus Alternativlosigkeit, das kapitalistische System über das Gebiet der ehemaligen DDR gestülpt wurde.

Auch soziale Subsysteme wie dasjenige der Wirtschaft bestehen zwischen Transformationen und Traditionen. Anhand der ökonomischen Eigenlogik, der systemischen Funktionalität kann deutlich gemacht werden, dass Marktmechanismen nur für die oberste Schicht der Ökonomie, für die Sphäre/ das Stratum der Luxusgüter und des Überflusses sinnvoll sein können.

Inwieweit Luxus und damit marktwirtschaftlicher Tausch und Einsatz von Kapital tatsächlich notwendig ist, hängt wiederum von sozialstrukturellen Rahmenbedingungen entscheidend ab. Ein Auto z.B. mag in Städten als ein überflüssiges Stadtmöbel erscheinen, in ländlichen Räumen aber ein notwendiges Fortbewegungsmittel sein.

Diesem und ähnlich gelagerten Dilemmata zum Trotz bleibt aber die Forderung zu erheben, die bestehende kapitalistische Verzerrung und den zunehmenden Gebrauch von Marktgütern nach Möglichkeit zurückzudrängen. Auf diese Weise würden wir gleichzeitig auch zu angemessenen Definitionen der Begriffe Luxus und Überfluss kommen, so wie diese dann auf einer objektiven Grundlage identifizierbar wären.

Demokratie ist wertlos ohne die Einlösung eines weitestgehenden Versprechens der Gerechtigkeit. Und gerecht zu handeln heißt nicht zuletzt: Der Angelegenheit entsprechend zu handeln. Das bedeutet: In Gemeinschaften begründete und diese adressierenden Dinge in die Hände von Kollektiven zu legen und die auf Individuen bezugnehmenden Dinge in privaten Händen zu belassen. Nur mit derart grundsätzlichen Einordnungen und Maßnahmen kann institutionalisierten Unterschlagungen durch Eliten, wie den von Kapitalisten betriebenen, effektiv der Boden entzogen werden.

In diesem Sinn und daran anschließend soll hier auch erörtert werden, wie individualistischen Bestrebungen mit digitalen Systemen, in denen materielle Räume und ihre Grenzen immer weniger relevant sind, Vorschub geleistet wird, stärker noch als mit analogen bzw. gegenständlichen Verfahren.

Materie wird, wie auch Gesellschaft, über Handlungen erschaffen und erschlossen, und ebenso wie Gesellschaft hat Materie Eigenlogik, Strukturen, Werte, die sich der vollständigen Zuschreibung an Individuen, der Urheberschaft Einzelner entziehen.

Fußnote: Schon Aristoteles hat erkannt (und Émile Durkheim auf die Gesellschaft bezogen), dass eine Gesamtheit mehr ist als die Summe der Teile, aus denen sie zusammengesetzt ist. So ist z.B. ein Haus mehr als die Anzahl der einzelnen Ziegel, aus denen es erbaut ist, sondern in erster Linie eine Struktur, die, sowohl eigene als auch fremde, Zwecke erfüllt.

Materie ist immer schon vorhanden und wirkt auch unmittelbar, erschließt sich also auch jenseits der Kenntnis zugrunde liegender Ideen, auch ohne Berücksichtigung zugewiesener Funktionen. Sie ist Realität, d.h. sie existiert und zeichnet sich durch Eigenlogik und eigene Funktionen aus, die vorgeben, auf welche Weise wir uns zu ihr verhalten können. Nicht einmal mit dem Wissen der gesamten Menschheit wären wir in der Lage, den Gehalt einer Sache symbolisch vollständig wiederzugeben.

Materie besteht also aus dem, was wir damit tun, beschreibt gleichzeitig aber auch eigene sinnvolle Zusammenhänge. Materie prägt die Wirklichkeit von Gesellschaften in demselben Maße, wie sie diese Realitäten abbildet. Materie und Handeln können insofern als eine schon bestehende Einheit aufgefasst werden, während Ideen erst mittels Taten Wirklichkeit werden können.

Die Wirklichkeit wird also durch Handeln erschaffen und die Realität bildet sich in der Tat ab. Digitale Systeme wie das “Metaverse” bestehen dagegen aus individuellen Vorstellungen und ihren Symbolen, welche allein Virtualitäten, Abstraktionen von der Wirklichkeit repräsentieren.

Es kann mit ihnen zwar, vermittelt, auch Materie erzeugt werden, doch liegt, ihrer Eigenlogik entsprechend, ihre Funktionalität in beliebig oft reproduzierbaren Rechenoperationen, in einseitig intensiven, effizienten Simulationen und eben nicht darin, etwas zu produzieren, das, eben auch gemeinschaftlich, umgeformt oder weiterverarbeitet werden kann.

Zumindest hypothetisch besteht die Gefahr, dass Menschen, die zunehmend von, in digitalen Systeme erzeugten, idealisierten Verhältnissen umgeben sind, entfremdet werden gegenüber realen, abweichenden, suboptimalen Situationen, wie sie sich z.B. im öffentlichen Raum mit großer Wahrscheinlichkeit einstellen.

Virtualität gründet – wie jede Abstraktion – auf Vereinfachung und Uniformität und ist eher ungeeignet, Differenzierungen und Innovationskraft zu befördern. Kommerzielle Medien sind, auch im Netz, auf Reichweite und daher auf Einzelfälle wie Katastrophen, Verbrechen und Sensationen angewiesen. Es braucht deshalb auch hier demokratisch kontrollierte Öffentlichkeiten, um, über Konjunkturen und Abweichungen hinaus, die strukturellen Fehlleistungen innerhalb von Gesellschaften aufzudecken.

Dass menschliche Interaktionen sich nur in seltenen Fällen in ein simples Reiz-Reaktions-Schema pressen lassen, ist zwar in der Kommunikationsforschung schon nachgewiesen worden. Trotzdem ist zu betonen, dass auch Kommunikation, als ein Sonderfall sozialen Handelns, entweder individualistisch, z.B. in der Planung und Steuerung maschineller Prozesse wie in der Binnenkommunikation des IoT, oder gemeinschaftlich orientiert sein kann.

Telekommunikation dient heute in erster Linie der globalen Verfügbarkeit von Daten. Die so erzeugte, formale Omnipräsenz wird meist für funktionale, räumlich-zeitliche Entgrenzungen genutzt, entweder operativ, z.B. für Steuerungen globaler Handelsströme oder spekulativ, z.B. für Prognosen zukünftiger Börsenkurse.

Nur selten geht es darin um Information zur Mitbestimmung und umfassenden Kooperation, nicht zuletzt da mit diesen Formen der Zusammenarbeit große Datenmengen anfallen würden. Zwar sind bekanntlich „Roboter auch nur Menschen“, aber es fällt heute deutlich schwerer, Menschen in Automaten zu stecken als noch zu den Zeiten des „Schachtürken“.

Virtuelle digitale Räume wie im “Metaverse” werden immer wieder neu erschaffen und in Maschinen errechnet. Ihre einseitige, beliebig einsetzbare und wiederholbare Funktionalität setzt unbedingt eine fehlerfreie Anwendung von Maschinen-Codes voraus, die nur vermittelt wirksam werden.

Digitale Systeme bauen somit nicht eigentlich aufeinander auf, sondern funktionieren grundsätzlich nebeneinander her, vergleichbar mit nur erdachten Individuen.

Das erklärt auch die strukturell geringe Reichweite und gesellschaftliche Relevanz digitaler Produkte, wenn, jenseits elektronischer Prozesse, Möglichkeiten zur Anknüpfung an andere Kommunikationsformen nicht mitgeliefert werden.

Es ist die Abstraktion eines isoliert aufgefassten, einseitig nützlichen Kommunikationsmediums, eine nur erdachte, eben eine allein mögliche Entgrenzung und erzeugt, selbst in ihren Manifestationen, nur digitale Abbilder virtueller, idealer Verhältnisse.

Die korrespondierende, abstrakte Verkürzung von Kommunikation ist mit der Funktion des Geldes in den oben genannten totalitär-kapitalistischen Gesellschaften vorgesehen. Es kommt nicht von ungefähr, dass die Digitalisierung einhergeht mit fortgesetzten Auslagerungen von Dienstleistungen, die zuvor in den produzierenden Firmen selbst angesiedelt waren, in der letzten Konsequenz ausgelagert in die Hände der Kunden, was der realen Umkehrung der wirtschaftlichen Rollen gleichkommt. Diese Logik wirft ein Schlaglicht auf technische Innovationen, jede immer mit höheren Anforderungen an individuelle Interessen und Initiativen, an persönliche Engagements geknüpft wie im aktuellen Fall der Auflösung der Bindung an Kabelanschlüsse von Hausgemeinschaften im Zuge der Streaming-Dienste.

Wirtschaft sucht immer nach der größten Rendite und bevorzugt Geschäfte, die nur einen minimalen eigenen Aufwand erfordern. Dann lässt sich auch mit Margen von wenigen Cents viel Geld verdienen. Neben Investitionen in Finanzprodukte, also in Geld selbst, stehen folglich Maschinen, wie z.B. Serverparks, ganz oben auf der Wunschliste der Konzerne. Alles spricht daher für einen fortschreitenden Abzug des Kapitals, weg von der Materie und den räumlichen Ordnungen und hin zu verschiedenen abstrakten Simulationen.

Einzig in der digitalen Welt kann der Computer für die “Perfect Machine” (Herbie Hancock) stehen, mittels binärer Codes jederzeit vollumfänglich umprogrammierbar, d.h. spezifischen Erfordernissen komplett anpassbar und damit ideal geeignet, maximale Kosten-Nutzen-Optimierungen und damit entsprechende individuelle Profitsteigerungen zu errechnen.

Demgegenüber dienen reale Systeme, wie Menschen oder ganze Gesellschaften und die Einheiten, aus denen sie bestehen, gleichzeitig mehreren eigenen Zwecken, interagieren unabhängig voneinander, organisieren und steuern sich selbst.

Zusammenfassend kann also angenommen werden, dass analoge Systeme reale Räume darstellen, während digitale Systeme virtuelle Räume abbilden.

Die absolute Freiheit, die uneingeschränkte Freizügigkeit, die der Liberalismus propagiert, muss in realen Ordnungen ebenso ein unerreichbares Ideal bleiben wie z.B. auch die Vorstellung von einheitlicher kultureller Identität innerhalb einer Bevölkerung.

Dieser Anmaßungen wegen kommt letztlich auch die, nicht auf realen Verhältnissen gründende bürgerliche Ordnung, mit ihrem methodologischen Individualismus, ans Ende ihrer Herrschaft. Dieser mit einer ungeheuren Dynamik ausgestattete, aber komplett steuerlose, weil nur einseitig ökonomisch motivierte Kult um – vermeintlich geniale – Unternehmer und andere Führer mündet in unblutigen Fällen nur in Wortungetüme wie “Virtual Reality” und andere geistige Widersprüche, die unterstellen, es gäbe zur Disposition stehende Realitäten, schlimmstenfalls aber auch immer wieder in organisierten Rassismus, Nationalismus und Krieg.

Ausgangspunkt der aktuellen sozialen Spannungen ist die Täuschung, die Grundbegriffe von Selbstbestimmung und Freizügigkeit müssten nur zu einer neoliberalistischen Pseudotheorie aufgeblasen werden, damit Gesellschaften, einem einseitigen Trugbild von Entwicklung hinterherlaufend, in einer totalen Transformation zu weltumspannender Zusammenarbeit und Wohlstand gebracht werden können.

Die Folgen sind, seit nunmehr schon über 250 Jahren, Zerstörung der realen Lebensgrundlagen und zunehmende Armut und die Reaktion hierauf ist immer wieder eine weitere, politisch unterstützte Eskalation, die in Komplizenschaft mit faschistoiden Eliten durchgesetzte, imperialistische Aggression.

Ein ums andere Mal verhindern auf Vorurteilen fußende, die Funktionen von Gesellschaften methodologisch ausblendende Pseudowissenschaften und Abstraktionen die Einsicht, dass Ideologien wie der Liberalismus nicht zu Lösungen führen, sondern immer mehr Probleme erzeugen.

Dies ist die Ursache für den derzeit zu beobachtenden Anstieg autoritärer und protektionistischer Propaganda, die Ausgrenzung, Wettbewerb und Stärke von Nation und Führer als Zielvorstellung durchsetzen möchten. Viel zu lange ist nicht hinreichend auf die Forschung gehört worden, die erklären kann, weshalb es den Staaten der globalen Peripherie nicht gelingt, den Vorbildern internationaler Zusammenarbeit der „Ersten Welt“ nachzufolgen, wie sich am Beispiel der EU mit ihren Vorstößen zur Integration europäischer Peripherien zeigt.

Individuen handeln nur unter gewissen, günstigen Umständen im Sinne der Allgemeinheit. Und soziales Handeln ist darüberhinaus auch noch an öffentliche Auseinandersetzungen geknüpft. Um nicht zwischen gegnerischen Blöcken autoritärer Herrschaft, die sich entweder auf sozialistische oder auf kapitalistische bzw. faschistische Ideologien stützen, zerrieben zu werden, müssen wirklich freiheitliche Gesellschaften sich bezüglich ihrer Grundbedürfnisse prinzipiell dem Allgemeinwohl verpflichten und ihre Märkte, d.h. den verbleibenden Bereich des freien Welthandels, entsprechend neu ordnen oder schließen.

Die derzeit herrschende These, dass jede*r nur an den eigenen Vorteil denken müsse, damit für alle gesorgt sei, ist nicht haltbar. Talcott Parsons hat mit dem “utilitaristischen Dilemma” identifiziert, dass über das egoistische Mittel Geld keine gemeinschaftlichen Ziele erreicht werden können. Einfach nur individuelles Eigentum zu mehren schafft keine einzige Voraussetzung für sozialen Zusammenhalt, geschweige denn für echten sozialen Fortschritt. Also wurde, durch umfassende Privatisierungen in den vergangenen drei Jahrzehnten, die, aufgrund ihrer Eigenlogik nicht profitabel zu machende, öffentliche Daseinsvorsorge zerstört.

Die Plutokratie, welche die Diskussion um den Sozialstaat beherrscht, verkürzt die gesellschaftlichen Probleme, die sich mit Transformationen und Modernisierungen zwangsläufig einstellen, ein ums andere Mal auf Finanzierungsbedarfe. Als wäre nicht schon längst offensichtlich, dass Geld gesetzmäßig dorthin abfließt, wo es von Individuen angehäuft werden kann bzw. kurzfristig Gewinne winken und seinen Marktwert einbüßt, wo, im Sinne nachhaltiger Entwicklung, langfristig investiert werden muss bzw. öffentliche Schulden gemacht werden.

Abhilfe gegen diese Verzerrung könnten, anstelle von noch mehr Geld, Einverständnisse über gemeinschaftliche Interessen und, daran anschließend, kollektive Projekte mit einer steigenden Produktion von Sachwerten schaffen. Dies kann aber nur über Strukturen gemeinsamer, gleichberechtigter Arbeit gelingen, und nicht, indem die Diktatur des Geldes durch ein anderes, z.B. politisches, Diktat ersetzt wird.

Fußnote: Die Beispiele der RGW-Staaten zeigen, wie, gegenüber der ökonomischen Klasse des Westens, in Osteuropa auch eine politische Klasse, eine Bürokratie Gesellschaften instrumentalisieren konnte, indem die Verfügungsgewalt über Produktionsmittel zum eigenen Nutzen dienstbar gemacht wurde.

Es wäre notwendig, wirtschaftliche Strukturen jenseits der Finanzmärkte zu entwickeln, soziale Institutionen, die von der Geldzirkulation abgekoppelt sind und die sich gegenseitig unterstützen in Formen der Selbstversorgung. Die Diskussionen, zum Beispiel die der Rentenversicherung, drehen sich derzeit aber nur um verschiedene Umverteilungen von Geldmitteln, so wie das sogenannte „Generationenkapital“, anstatt um Investitionen in (regionale) Sachwerte. Ein damit schlüssigerer Aufbau der Daseinsvorsorge mit sozialem Wohnungsbau, Bildungsinstitutionen usw. wäre die Grundlage für ein höher entwickeltes kollektives Interesse und Handeln.

Den materiellen Grundlagen unserer Existenz in Strukturen und Funktionen Geltung zu verschaffen heißt, der Realität und damit unserem gesellschaftlichen Handeln den ihr zukommenden Raum zu geben und die Bedingungen für tatsächliche Verbesserungen der Verhältnisse zu schaffen. Die, im Sinne ihrer Eigenlogik, der Allgemeinheit verpflichteten Institutionen wie ÖPNVs und andere fundamentale Infrastrukturen einschließlich der Rohstoffe, die zu ihrer Bereitstellung benötigt werden, sollten nicht länger Profitinteressen dienen, sondern sich folgerichtig an den Bedürfnissen der Bevölkerungen orientieren.

Während digitale Systeme auf Darstellung von Ideen beschränkt sind, sind reale Systeme sowohl Abbilder als auch Tatsachen und folgen demnach auch einer Eigenlogik. Um gesellschaftliche Repräsentation und Partizipation in die Tat umzusetzen und zu stärken, sind sachbezogene (analoge) Kommunikationsmittel also als unverzichtbar und anschlussfähiger zu betrachten.

Die von uns erschaffenen und uns umgebenen Manifestationen sind allesamt Konkretisierungen der mit ihnen verbundenen Funktionen bzw. der handelnden Individuen und Kollektive. Unbestreitbar sind auch Halbleiter funktional, nur sind es eben rein logische, nicht auf Menschen, sondern ausschließlich auf Maschinen ausgerichtete Funktionen als Symbole totaler Effizienz.

Die vielbeschworene Digitalisierung kann für viele, mindestens für hochgradig abstrakte, automatisierte Prozesse mit großen Profiten zur Anwendung gebracht werden. Sie eröffnet neue Felder für eine nominell unbegrenzte Zahl von Experimenten. Als eine Patentlösung aller gegenwärtigen Probleme ist sie aber eher nicht zu betrachten. Die Verwerfungen, entstanden aus dem Hype um die sogenannte “Globalisierung”, die in den Neunzigerjahren als ein Naturgesetz dargestellt wurde, sollten uns eine Lehre sein.

Exkurs KI: Mittels KI können heute täuschend echt wirkende Dialoge erzeugt, parallel zur Realität ein virtueller, selbstreflexiver und selbstoptimierender Raum geschaffen werden, in dem Maschinen auch nur mit ihresgleichen interagieren. Auch hier ist die Menschheit herausgefordert, steuernd einzugreifen. Ein hier beispielhaftes Vorhaben zielt darauf, mit einer Art von Wasserzeichen, zukünftig zu verhindern, dass Computer sich gegenseitig zitieren und damit Falschinformationen in exponentieller Geschwindigkeit verbreitet werden können.

Informatiker, wenn sie sich auch als Ingenieure elektronischer Öffentlichkeiten verstehen, sollten Entwicklung nicht nur aus Gründen einseitiger Rationalisierung betreiben, sondern auch deren allgemeinen Nutzen erhöhen. Nicht allein das Ziel der Steigerung von Quantitäten wie z.B. Taktfrequenzen oder Übertragungsraten, sondern auch qualitative Fortschritte wie erweiterte Eingabe- und Zugriffsmöglichkeiten auf Daten über bessere Schnittstellen, über analoge Wandler und Regler sollten im Fokus ihrer Tätigkeit stehen.

Fußnote: Einige Forscher entwerfen neue analoge Lösungen in der Elektronik, die einerseits näher an der Lebenswirklichkeit der Menschen sind und andererseits die immensen Rechenleistungen innerhalb und zwischen Maschinen reduzieren, auch um den schädlichen Folgen des damit verbundenen Energieverbrauchs für die Umwelt zu begegnen.

Aus Sozialstrukturen herausgelöste, sozusagen entfremdete Märkte, ohne Bezug auf gesellschaftliche Werte und damit auch ohne gemeinsam geteilte Entwicklungsziele, führen in eine Scheinfreiheit, in ein verantwortungsloses Nirgendwo namens Kapitalismus. Sie können weder die Aufgabe der Befreiung der Individuen erfüllen, noch der Eigenlogik von Produktionen, Distributionen und Konsumtionen genügen, sondern sind schlichte Instrumente der illegitimen Herrschaft des Kapitals. Dieses schränkt, in totalitärer Weise, zunehmend die Möglichkeiten sozialen Handelns ein und verbrämt dafür seine irrlichternden Spekulationen mit umso mehr wohlfeilem, propagandistischem Geschwätz und Kriegstreiberei.

Die in heutigen Debatten unkritisch übernommene, geschichtslose Gleichsetzung von Marktwirtschaft und Kapitalismus ist der Ausgangspunkt der verbreiteten Lüge, der Kapitalismus wäre ein funktionsfähiges System und nicht bloß ein, von chauvinistischen Eliten in deren Eigeninteresse erfundenes Luftschloss, dass dazu dient, (Selbst-)Ausbeutung und Umweltzerstörung als unabdingbar zu setzen.

Der Begriff „Casino-Kapitalismus“ ist als Tautologie zu bezeichnen, weil durch Kapitalismus Gesellschaften immer in Spielhallen transformiert werden. Logischerweise wird unter solchen, radikal verantwortungslosen Verhältnissen der bewährte Grundsatz missachtet, in Wetten nur einzusetzen, was auch ohne Gefährdung der Existenz, ohne Zerstörung der Lebensgrundlagen verloren gehen kann und wird stattdessen alles der Spekulation überantwortet.

Die Identifizierung der Funktionsweisen sozialer Systeme und die Berücksichtigung der spezifischen lokalen Bedingungen können uns ermöglichen, wirtschaftliches Handeln wieder in Sozialräumen, in realen Gesellschaften zu verankern. Nur durch den Versuch, allen gesellschaftlichen Funktionen unabhängig voneinander gerecht zu werden, kann nachhaltig Entwicklung stattfinden und Ausbeutung zurückgedrängt werden.

Ohne wissenschaftliche Begleitung und institutionelle Absicherung von, möglichst hohen, sozialen Mindeststandards, kann dem Zug zum schnellen Profit und der Korruption von Gesellschaften nicht überzeugend begegnet werden. Sonst könnte beim nächsten Tanz ums „Goldene Kalb“ wieder mühsam erreichte Niveaus preisgegeben und Gemeinschaften durch Kapitalisten aus (vermeintlich) antagonistischen Blöcken zu Kriegen aufgestachelt werden.

Während in der Zeit des „Kalten Kriegs“ auch in weniger entwickelten Ländern Fortschritte in Fragen der Demokratisierung verzeichnet werden konnten, ist heute in der globalen Peripherie ein sich verstärkendes Misstrauen gegenüber einem westlichen Modell zu beobachten. Dies ist insofern nachvollziehbar, als sich dort zunehmend der Eindruck durchgesetzt hat, mit der Befolgung der westlichen Vorgaben würden letztlich die eigenen Autokraten nur durch, ebenso menschenverachtende, ausländische Eliten ersetzt. Und was bedeuten könnte, dass neben der, zumeist schon an die eigenen Kapitalisten veräußerte, Kontrolle über die Wirtschaft, zusätzlich noch kulturelle Identitäten preisgegeben werden müssten.

Allein wirtschaftlich motivierte Deregulierungen haben nicht zu „Trickle-Down-Effekten“ und Einebnungen des Wohlstandsgefälles geführt, sondern zu Erosionen des Mittelstands und zu Umverteilungen von regionalen Ressourcen in den Zirkel internationaler Finanzmärkte.

Es passt ins Bild, dass in der neoliberalen ökonomischen Theorie von der Wirtschaft allgemein als nur einem Markt gesprochen wird. Realistischerweise sollte aber von einer Vielzahl von Märkten, z.B. der Bauwirtschaft oder der Rohstoffindustrie, gesprochen werden, nicht nur weil sie, heute mehr oder weniger erratisch, verschiedenen staatlichen Regulierungen unterworfen sind, sondern weil sie schon wegen ihrer materiellen Eigenschaften unterschiedliche Renditechancen aufweisen.

Es kommt darauf an, wieder mehr Handeln jenseits von Märkten zu ermöglichen, um anderen Werten mehr gesellschaftlichen Raum zu geben. Und umgekehrt sollte zusätzlich die, in den letzten fünfzig Jahren in monströser Weise liberalisierten Möglichkeiten der Umschichtung zwischen verschiedenen Anlageformen wie Aktien, Immobilien oder Devisen wieder eingeschränkt werden.

Dies könnte, schon innerhalb der Märkte, dadurch geschehen, dass die unterschiedlichen Investitionsformen entsprechend ihrer Liquidationsfähigkeit besteuert werden, also bei einem höheren Grad der direkten Umwandelbarkeit in die Geldform – wie z.B. Aktien im Vergleich zu Immobilien – in einem stärkerem Maß zum Steueraufkommen beitragen (auch über neue Instrumente wie Finanztransaktionssteuern). Mit diesem Vorgehen könnten dann Umschichtungen von Vermögen mit schädlichen Folgen für die Allgemeinheit eingeschränkt werden.

Ein weiterer möglicher Hebel könnte die Einführung sozialräumlicher Faktoren wie demographische Verteilungen oder anderer politischer Ordnungen sein, um zusätzliche Dimensionen in das wirtschaftliche Handeln zu bringen. (-> ThEM)

Es geht nicht darum, die idealistische Propaganda des Kapitals durch eine materialistische des Kollektivs zu ersetzen, so wie wir überhaupt jeder „Entweder-Oder“-Frage misstrauen sollten. Wir sind aber aufgefordert, die Materie und damit die soziale Seite der Dinge mit in den Blick zu nehmen. Nur so können wir objektive Erkenntnisse über die Verfassung von Gesellschaften erlangen und Ideologien insgesamt und nachhaltig zurückdrängen. Idealistische Weltanschauungen haben unstrittig wertvolle philosophische Theorien und Erkenntnisse über jeden einzelnen von uns hervorgebracht, soziales Handeln hingegen entspricht dem Grundsatz: „Das Sein bestimmt das Bewusstsein.“

Gesellschaften bestehen nicht darin, dass sie sich entweder als pro- oder contra-individualistisch darstellen, sondern indem sie, diesseits von Propaganda und Ideologien, existieren. Aus diesem Grund sind die Instrumentalisierungen religiöser Bekenntnisse, die willkürliche Erzeugung von Zusammenhängen zwischen menschlichem Handeln und göttlichem Willen, wie sie von fundamentalistischen Sekten betrieben wird, auch als noch übler zu bewerten als nur einfache, propagandistische Brüche mit der Realität.

Spiegelbildlich zur hier dargelegten weltlichen Kritik, wird mit derart sektiererischen Spekulationen auch ein theologischer Streit vom Zaun gebrochen. Die, aus niederen (pekuniären) Beweggründen, betriebene Leugnung der grenzenlosen Einheit und der bedingungslosen Liebe zwischen Gott und seiner Schöpfung, eben auch im Diesseits, und die daraus, im Umkehrschluss, abgeleitete Verlegung besserer, gerechterer Welten einzig in ein abstraktes Jenseits kann, von einem traditionalistischen, absoluten Gottesbegriff aus, mit einigem Recht als blasphemisch bewertet werden. Die Bruchstelle zwischen den Werten überkommener Religionsgemeinschaften und den aktuell vorherrschenden Gesellschafts- und Menschenbildern tritt hier deutlich hervor.

Die Architekten der Neuordnung nach dem Zweiten Weltkrieg, vor dem Hintergrund der totalen Vernichtungsmaschinen von Auschwitz und Hiroshima, hatten dem Kapital Zügel angelegt. Durch die seit fünfzig Jahren betriebene Wühlarbeit neoliberaler Hetzer befindet sich die Welt heute wieder vor dem Abgrund. Wieder wird der Gang in die bürgerliche Katastrophe angeführt von Egomanen, die die glauben machen wollen, sie könnten die Weltprobleme im Alleingang lösen, und begleitet von saturiert-selbstgefälligen „Experten“, die glauben, sie stünden per Abonnement auf der Siegerseite.

Wir alle stehen also vor der Herausforderung, Ideologien zu benennen, diese in ihren alltäglichen Konsequenzen aufzudecken und, wie hier gefordert, uns im Sinne unserer Gemeinschaften vom Kollektivismus und bezüglich unserer Märkte vom Kapitalismus zu befreien. Dann wird es der Menschheit möglich sein, in der hier polemisch „Matterverse“ genannten Wirklichkeit, allgemeinen Wohlstand zu organisieren.

Geld sollte nicht allein das Medium sein, der Globus nicht allein den Ort bieten, Märkte nicht allein die Möglichkeiten der Kommunikation definieren. Groß angelegte Subsistenz- bzw. Tauschwirtschaften, die sich über den gesamten Bereich der Daseinsvorsorge erstrecken, können den Zusammenhalt und öffentliche Institutionen stärken und neue Produktionen und Dienstleistungen wie zum Beispiel “Repair-Cafés” hervorbringen.

Entwicklungshilfen, die auf die Schaffung von Infrastrukturen fokussiert sind, auch wenn sie derzeit noch vorwiegend von autoritären Regimen und in nicht ganz uneigennütziger Weise betrieben werden, bergen mehr Chancen für nachhaltiges Wirtschaftswachstum im globalen Süden, weil sie Voraussetzungen für neue, an die örtlichen Bedingungen geknüpfte Produktionen bieten, anstatt nur an internationale Märkte und oftmals erheblich schwankende Konjunkturen anhängt zu sein.

Es ist ein Irrtum, zu glauben, es müsse in jedem Bereich der Wirtschaft öffentliche Kontrolle abgeschafft werden, um der menschlichen Kreativität den nötigen Raum zu verschaffen. Nur wenn, neben dem einseitig individuellen Nutzen und der Erschaffung virtueller Räume, zusätzlich die tatsächlichen Bedürfnisse von Menschen unser Handeln anleiten, können, auch innerhalb von Marktwirtschaften, belastbare Quellen des Fortschritts entstehen.

Für sich allein genommen wird aber auch das jetzt scheinbar wegweisende “Metaverse” nur eine weitere kapitalistische Eskalation sein und dazu dienen, mittels perfektionierter Algorithmen private Profite zu produzieren und maximal effizient eine maximale Menge Müll auf unseren Planeten auszuschütten.
🏄🏻‍♂️

Literatur

Crawford Macpherson: The Political Theory of Possessive Individualism. From Hobbes to Locke, Oxford 1962
Mancur Olson: Die Logik des kollektiven Handelns. Kollektivgüter und die Theorie der Gruppen, Tübingen 2004
Joseph Schumpeter: Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, Berlin 1987
Talcott Parsons: Economy and Society [mit Neil J. Smelser], Glencoe 1956; The Structure of Social Action, New York 1937
Karl Marx: Das Kapital. Kritik der Politischen Ökonomie, Berlin 1988
Jürgen Friedrichs: Methoden empirischer Sozialforschung, Opladen 1985
Klaus Müller: Die Clans der Ukraine, in: Le Monde diplomatique vom 09.10.2014
Peter Sloterdijk: Kritik der zynischen Vernunft, Frankfurt/Main 1983
Martina Löw: Raumsoziologie, Frankfurt/Main 2001; Die Eigenlogik der Städte. Neue Wege für die Stadtforschung [mit Helmuth Berking], Frankfurt/Main 2008
Richard Sennett: Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität, Berlin 2008
Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt/Main 1982
Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 1976
Richard Münch: Die Kultur der Moderne, Frankfurt/Main 1986
Heiner Ganssmann: Politische Ökonomie des Sozialstaats, Münster 2000
Isabella Weber: Could Strategic Price Controls Help Fight Inflation?, in: The Guardian vom 29.12.2021
Harrison White:: Markets from Networks, Princeton 2002
Oeconomia (Dokumentarfilm von Carmen Losmann, Deutschland 2020)
Algorithmen – Die unberechenbare Gefahr (Dokumentarfilm von Dorothe Dörholt, Deutschland 2022)
Pier Paolo Pasolini: Freibeuterschriften. Die Zerstörung der Kultur des Einzelnen durch die Konsumgesellschaft, Berlin 2024
Claus Offe: Staatskapazität und Europäische Integration, Wiesbaden 2019
Jürgen Habermas: Theorie des kommunikativen Handelns, Frankfurt/Main 1981
Julien Offray, sieur de La Mettrie: Der Mensch eine Maschine/ L’Homme-Machine, Leipzig 1965
John Lennon/ Paul McCartney: Nowhere Man, London 1965
Karl Polányi: The Great Transformation, Frankfurt/Main 1995
Antonio Carlo: Politische und ökonomische Struktur der UdSSR (1917-1975), Berlin 1972
Tilman Fichter/ Siegward Lönnendonker: Kleine Geschichte des SDS, Berlin 1977
Bernd Ulmann: Analog Computing, Berlin/ München/ Boston 2022

 

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